Zu Gast bei Luise – 94 Jahre alt

Treffpunkt Café Hilde, Interviewfragen checken bei Kaffee und Süßkram. Nervosität, Gekicher und unendlich viel Vorfreude auf „ein gutes Alter“. Es wird gut werden. Daran glauben wir. Machen wir uns auf den Weg.

Ich bin Luise.

Luise – 94 Jahre alt.

Was war oder ist ihr Lieblingsalter?

Das war meine Jugend. Draußen auf dem Dorf. Wir jungen Leute haben uns zum Wandern verabredet. Man hat viel mit seinen Freunden unternommen. Sonntags waren wir früh im Gottesdienst und am Nachmittag noch in der Andacht. Das war ganz selbstverständlich. 

Die Jugend früher war unbeschwert. Die Jugend heute hat es nicht so leicht. Ich bin froh, dass ich das alles schon hinter mir habe und beneide euch nicht, um das was um euch herum passiert. 

Wie alt möchten sie werden?

Als ich 85 Jahre war, das war vor knapp zehn Jahren, da dachte ich nicht, dass da noch 10 Jahre oben drauf kommen. Mit 85 ist man ja schon alt. Tja, und nun werde ich in diesem Jahr 95 Jahre alt.

Bald stolze 95 Jahre alt.

Was ist das Schöne am Altsein?

Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich beginnen kann und an dem ich hier sein darf. Es ist schön, wenn ich meine Sachen selbst machen kann. Klar dauern das Aufstehen und der erste Kaffee am morgen nun viel länger als früher, aber ich habe ja die Zeit. Ich kann hier bei meiner Tochter und ihrer Familie im Haus wohnen und darf ab und an meine Koch- und Backkünste noch unter Beweis stellen. Meine Krapfen oder mein Kartoffelsalat sind sehr beliebt. 

Ich bin dankbar für jeden Tag, den ich beginnen kann.

Hier in meiner Wohnung im 1. Stock habe ich meinen kleinen Rückzugsort. Wir sind eine große Familie mit einem großen Zusammenhalt. Alle Kinder, Enkel- und Urenkel sind für mich da. Es gibt Menschen in meinem Alter, die sind alleine, weil alle Angehörigen und Freunde schon verstorben sind, oder auch weil die Familie nicht hier am Ort lebt. Sie leben dann meist im Pflegeheim. 

Welches Lied ist ihr Lieblingslied oder hat sie ein Leben lang begleitet und bedeutet ihnen viel?

Da gibt es keines. Früher haben wir Musik gehört, als mein Mann und ich gemeinsam mit unseren Freunden zum Tanzen gingen. Die Musik kam nicht vom Band. Die war selbstgemacht. Die Leute im Dorf spielten selbst Musikinstrumente, wenn wir abends ausgingen.

Was war der größte/schönste Moment in ihrem Leben? Was war die beste Entscheidung in ihrem Leben?

Das war, als ich meinen Mann kennengelernt und geheiratet habe. Das war wirklich gut für mich, denn ich kam ja aus der Landwirtschaft und er hatte einen festen Beruf. Dann haben wir geheiratet und Kinder bekommen. Ich war gut versorgt.

Liebe ein Leben lang.

Heutzutage trennen sich die Ehepartner schnell, wenn es mal Probleme gibt. Denn jeder hat seine eigene Arbeit und jeder geht dann wieder seinen eigenen Weg, aber eben getrennt. Wer mir leid tut, sind die Kinder, die das alles mitmachen müssen.

Welche Rolle spielen Liebe / Hoffnung / Glaube im Leben?

Sie spielen für mich eine sehr wichtige Rolle. Als mein Mann 1983 starb und ich mit meinen Kindern – teils verheiratet, teils noch ledig – plötzlich alleine da stand. Meine Kinder haben mir geholfen dieses Schicksal zu verarbeiten und weiterzumachen. Das war lange eine schwierige Zeit, aber meine Familie gab mir Halt. Es musste ja irgendwie weitergehen. Das Leben geht weiter. 

In Erinnerung an die große Liebe.

Es geht selbst dann weiter, wenn einem das Schlimmste im Leben passiert: Als Mutter das eigene Kind zu verlieren, ob im Kindes- oder Erwachsenenalter, zerreißt einem das Herz auf unvorstellbare Weise. Nichts ist dann mehr wie es war. Die Frage nach dem „warum“ bleibt offen. Ich bin ganz fest davon überzeugt, ohne Liebe, Hoffnung und Glaube könnten wir diese Trauer kaum ertragen. 

Manchmal frage ich mich schon, wie es heute im Alter wäre, wenn die verstorbenen Familienangehörigen und meine Freunde von damals hier wären. So viele von ihnen sind bereits von mir gegangen.

„In unserem Alter gibt es nicht mehr viele. Da ist fast niemand mehr von den früheren Freunden. Auch wenn wir bei unseren Familien oder im Pflegeheim leben, trotzdem sind wir im Alter ganz allein.“

Wir Witwen leben dann zuhause in unserem Familienumfeld oder, weil es daheim alleine nicht mehr geht, im Pflegeheim. Dort habe ich Freundinnen, um die ich mich kümmere. Ich besuche sie oder telefoniere mit ihnen, Tante Marie zum Beispiel. Sie ist dort, weil sie sonst ganz alleine zuhause leben würde. Dort im Pflegeheim hat sie Anschluss gefunden und ist unter Leuten. Ihre Nachbarin ist ebenfalls dort. 

Was ist ihnen wichtig im Leben?

Freundschaft ist wichtig im Leben. Und die Familie ist sehr wichtig und wie man miteinander umgeht. Bloß kein Streit. Als Familienälteste bin ich für alle da und ich behandle alle gleich. Das ist mir sehr wichtig, so lange ich für alle da sein kann, gebe ich. 

Glücklich als Familienälteste.

Gibt es etwas, das ihnen Sorgen macht oder vor dem sie Angst haben?

Angst habe ich nicht. Auch nicht vor dem Ende. Ich schöpfe meine Kraft aus dem Glauben. Schon ein Leben lang. Ich nehme die Dinge, so wie sie kommen. Ich habe Gottvertrauen, dass es schon werden wird. Das einzige, worüber ich mir Sorgen mache, ist, dass ich meinen Kindern zur Last fallen werde, wenn ich nicht mehr so kann und mehr Hilfe brauchen werde.

Gibt es etwas, das sie richtig ärgern kann?

Wenn mich etwas ärgert, z.B. in den Nachrichten oder im Fernsehen, dann schalte ich das aus. Ich lasse einfach nicht zu, dass mich das ärgert.

Haben sie ein ganz persönliches Lebensrezept, ein Motto, einen Spruch, den sie uns mitgeben möchten?

Für jemanden, der viele Rezepte im Kopf hat, gibt es natürlich auch ein Lebensrezept.

Das Leben so hinnehmen und das Beste daraus machen. Nicht so viel grübeln, sondern einfach nach vorne schauen und Vertrauen haben.

Ein schöner Nachmittag geht zu Ende. Danke für diese bewegende gemeinsame Zeit.

Bildnachweise: Fotografien von Katharina Meixner, mehr auf Instagram @augenblickla_fotografie